Mr X, mittlerweile 3 Jahre alt, weiß genau, was er will. In den Kindergarten gehen, gehört nicht dazu. Nach über zwei Wochen Corona-Schließung hat er aufgehört, jeden Tag sofort nach dem ersten Augenaufschlag zu fragen, ob er daheim bleiben darf. “Corona ist mein Freund”, erklärt er mir, während ich zwischen Arbeits-PC, Wäsche, Essen kochen und Ansprache für Lady L mit hochrotem Kopf und Schnappatmung hin und her hechle.
Eine Frage der Perspektive
Mister X hat seinen Weg durch die Krise gefunden: Er darf daheim bleiben. Das macht ihn glücklich. Bei allem, was er an Corona “blöd” findet – nicht mit anderen Kindern spielen zu dürfen, zum Beispiel. Oder nicht ins Schwimmbad gehen zu können. Opa und seinen Hund schon so lange nicht mehr gesehen zu haben. All das betrübt ihn. Dennoch ist er selig. Mit dem, was ist. Kein Tag wird ihm zu lang. Kein Spaziergang zu weit. So lange wir alle zusammen sind, es etwas zu essen gibt und Wasser in die Badewanne fließt, lächelt er mich tiefzufrieden an.
Ich versuche, meinen Blickwinkel seinem anzupassen. Mich auf das Positive zu konzentrieren. Es muss doch da sein, neben all dem, was in vielerlei Hinsicht eine Katastrophe ist, muss es “mein Kindergartenfrei” geben. Zumindest, wenn man all diesen schlauen Sprüchen Glauben schenken mag. Oder wohnt vielleicht doch nicht in jedem Ende ein Neuanfang inne? Öffnet sich doch keine Tür, wo sich eine andere schließt? Wie auch immer. Ich bin entschlossen, in diesem Tag etwas Positives zu finden. Den unzähligen Corona-Meldungen zum Trotze.
Und es kam – wie immer – überraschend: Beim Joggen mit Lady L und Mister X. Beide waren furchtbar grantig, nichts war ihnen recht zu machen und mit jeder Sekunde Dauerbeschallung und Fremdbestimmung stieg die Wut höher in mir auf. Meine Exit-Lösung: Ich lief langsam voraus, die beiden waren mit ihren Rädern sowieso schneller als ich mit meiner Ausdauer a.D. und schlug einen Weg ein, der mir in über 10 intensiven Outdoor-Jahren am selben Ort noch nie wirklich als Möglichkeit in den Sinn gekommen war.
Neue Wege
“Hier waren wir noch nie”, stellte dann auch gleich Lady L fest und ich hielt kurz inne. Merkte, wie meine schlechte Laune, meine Wut, meine Sorge um das Morgen einem anderen Gefühl wich: Ich war erleichtert. Ich hatte mein Kindergartenfrei gefunden. Zumindest für diesen Tag: Einen Weg, den ich nie zuvor gegangen bin. Der mich an einen Fluß brachte und mir eine neue Joggingrunde ermöglichte.
Das war doch schon mal ein Anfang, der mir gut tat.
“Danke, Corona”-Liste
Damit eines klar ist: Ich halte Corona für eine Katastrophe. Wirtschaftlich, sozial und persönlich für viele Menschen ein Desaster. Ich möchte nichts schön reden. Ich möchte nur eine innere Stärke gewinnen, die mir genügend Energie und Zuversicht für meine Kinder gibt. Damit ihr Alltag so normal wie möglich weiterläuft. Deshalb jage ich jetzt jeden Tag “Danke, Corona”-Momente.
Meine 1o Favoriten:
- Neue Wege entdecken
- Alte Freunde auf dem Festnetz anrufen
- Angezogen, geschminkt und parfümiert am Homeoffice-PC sitzen
- Distanzlosen Nachbarn die rote Karte zeigen: Halte bitte Abstand und nimm Deine Kinder da weg.
- Memory spielen, wenn die Kinder schon längst im Bett sind.
- Wieder regelmäßig joggen: Ich brauche meine Auszeit
- Erleben, wie Lady L und Mister X immer mehr einander genug sind
- Schon heute dankbar dafür zu sein, irgendwann wieder so selbstversändlich wie lebenslang gewohnt ans Meer oder in die Bergen fahren zu können. Es wird nie wieder langweilig sein, “schon wieder” in der Toskana zu hocken.
- Akzeptieren, dass ich einfach eine schräge Nudel bin: Ich liebe eine Straße. Den Brenner.
- Ich ahnte es schon immer, aber jetzt weiß ich es: Ich bin ein Steppenwolf.






